Über die Arbeit mit Senioren

Unbezahlbare Erfahrungen

‚Ich gehe für eine Zeit nach Brasilien und arbeite dort für ein halbes Jahr in einem Altenheim‘. Auf diese Aussage bekam ich oft die Antwort ‚Oh, okay‘.

Ja, es stimmt, es ist relativ ungewöhnlich. Die meisten Projekte, von denen man von Bekannten, oder Freunden gehört hat, beschäftigen sich mit Kindern.

Ich habe mich bewusst gegen die Arbeit mit Kindern entschieden, zumindest für das erste halbe Jahr. Ich dachte mir, dass ich bei der Arbeit mit Senioren viel gebe, bzw. zu geben lerne und mehr für mich mitnehmen kann.

Meine Gedanken haben sich bestätigt - auf jeden Fall für die ersten Wochen, die ich nun hier lebe.

 

Die Menschen, mit denen ich arbeiten darf, sind unglaublich liebevoll - jeder auf seine Weise. Es macht unglaublich Spaß die Senioren kennenzulernen, jeden für sich.

Man darf die Bewohner niemals über einen Kamm scheren, denn sie sind so besonders, jeder Einzelne!

Ich eigne mir hier sehr stark den respektvollen Umgang an, denn ich muss immer wieder daran denken, dass jeder Mensch in diesem Haus ein ganzes Leben gelebt hat, mit Höhen und Tiefen, mit Liebe und Schmerz, mit Wärme und Kälte. All das, was die Personen hier erlebt haben, hat in irgendeiner Weise ihr Leben geprägt.

Vielleicht sind mir einige nicht in Fitness und Klarheit überlegen, aber sie haben eine Lebenserfahrung, von der ich nicht einmal zu träumen wage.

 

Ich freue mich unglaublich auf innige Gespräche, die ich hoffentlich schon bald mit einigen Bewohnern, die noch dazu im Stande sind, führen werde.

Auch der Begriff des ‚Im Stande Seins‘ ist nicht einfach zu definieren. An einem Tag blickst du einer Person in die Augen, die glasig und starrend sind und denkst, dass sie jetzt in ihrer eigenen Welt lebt. Den nächsten Tag sprichst du mit ihr und singst ihr leise was vor und sie dreht den Kopf, guckt dir in die Augen und lächelt. Das Gefühl ist unglaublich, obwohl es doch nur eine alltägliche Situation ist.

Ab wann kann man also sagen, dass jemand nicht mehr ‚im Stande ist‘? Dass jemand es nicht wert ist seine Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken? Ihn unmenschlich zu behandeln? Ich glaube niemals. Ich denke, dass das letzte, das der Mensch verliert, das Gefühl ist. Das Gefühl für herzliche Handlungen.

 

Die Frau, die normalerweise nur verwirrt durch die Gegend läuft, einen freudig umarmt und erzählt, dass sie 19 Jahre alt sei, wacht auf einmal für einen kurzen Moment aus ihrer Welt auf und die unbeschwerte Freude wechselt in unsagbare Trauer.

Dieser Trauer begegnen wir hier täglich. Es sind nicht immer die gleichen Personen, die leiden, aber das Leid touchiert uns immer wieder.

Angst vor der Zukunft, dem Tod, Sehnsucht nach der Familie, den bereits Verstorbenen, und das ‚Wo bin ich?‘.

Ich könnte einen ganzen Roman schreiben, in dem jeder einzelne Bewohner ein Kapitel bekommen würde, denn jeder hier ist es wert über ihn zu schreiben und ist in seiner Weise interessant zu beobachten.

 

Ich liebe diese Wärme, die mir so oft gegeben wird, wenn ich umarmt, geküsst, oder einfach nur herzlich angelächelt werde. Diese Wärme, die mich so wohlig umhüllt, versuche ich den ganzen Tag aufrecht zu erhalten, damit die Kälte der Routine und Trauer der Bewohner mich nicht erreicht und mich auskühlen lässt.

 

Wichtig ist für mich, und ich glaube, dass das unsere Aufgabe ist, den Bewohnern eine Person zu sein, die man gerne sieht. Die einen gut behandelt und respektiert.

Der kleine Prinz

'Ich wünsche dich beständig und fest gegründet. Ich wünsche dich treu. Denn Treue ist vor allem Treue zu sich selbst.'

-Stadt in der Wüste

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Kommentare: 2
  • #1

    Tante Yet (Montag, 19 September 2016 09:00)

    Danke für den tollen Eintrag. Pauli!
    Deine Worte berühren mich sehr! Danke für deine einfühlsame Arbeit und deine Überzeugung!
    :*

  • #2

    Kilian Bödeker (Donnerstag, 22 September 2016 20:39)

    Hallo Pauline so habe ich einen Einblick in die Arbeit mit den Senioren die Du Betreust oder um die Du dich kümmerst bekommen Gruß Kilian


Der kleine Prinz

'Am Ende geht einer doch immer dahin,

wohin es ihn zieht'

 - Flug nach Arraz