Über das Altern

Wir kommen zur Welt, als schreiende, hilflose Babys. Wir wachsen heran zu Kindern, so unschuldig, unwissend und unbeschwert. Als Jugendliche machen wir unsere ersten Erfahrungen in Sachen Liebe, echter Freundschaft und Freiheit. Viel weiter kann ich aus meinen Erfahrungen gar nicht sprechen. Ich selber würde mich als jungen Erwachsenen bezeichnen. In dieser Zeit, so glaube ich, erfährt man viel über sich. Man lernt viele neue Menschen kennen, aber besonders den Menschen, den man selber darstellt. Es ist die Zeit, in der man über den Tellerrand hinaus schaut und die Möglichkeit hat, die Welt zu erkunden. Man flattert aus dem elterlichen Nest heraus. Zumindest sollte man das meiner Meinung nach.

Ab diesem Zeitpunkt lernt man auf den eigenen Füßen zu stehen und nicht nur zu verharren, sondern seine Beine zu benutzen und laufen zu lernen.

Studium, Ausbildung, Jobsuche. Die Liebe seines Lebens finden? Wenn man sie nicht schon bereits gefunden hat. Familiengründung, in welcher Form auch immer.

So, oder in ähnlicher Form läuft es bei vielen Menschen ab. Natürlich spielt das Leben einem hin und wieder mal Streiche und stellt Hürden, die den vorhergesehenen Plan des Lebens umwerfen. Die Kunst ist es, so denke ich, nach jeder umgefallenen Hürde, nach jedem Sturz wieder aufzustehen, die Hürde aufzurichten und nach vorne zu gucken.

Man genießt es, die eigenen Kinder heranwachsen zu sehen. Man gibt sich dem vollen und erfüllenden Alltag hin. Man verändert sich im Job, bildet sich weiter, oder bleibt den Gewohnheiten treu.

Irgendwann, so habe ich es schon von vielen Personen erzählt bekommen, ist man plötzlich alt. Man hat die lang ersehnte Rente schon einige Jahre genossen und man sieht die Welt um sich herum sich verändern. Veränderung in der Technologie, Veränderung in der Gesellschaft, Veränderung in der Politik.

Ich kann die ganzen Gefühle, die man dann in sich hegt nicht voraussagen, aber mich interessieren sie ungemein.

 

Ich befinde mich an einem Ort, an dem ich genau diese Gefühle erfragen kann. Ich lerne die Bewohner immer besser kennen und sie mich ebenso. Jedoch erkenne ich schon ohne eine herkömmliche Konversation geführt zu haben, welche Gefühle vorherrschend sind:

Traurigkeit und Zufriedenheit. Es gibt natürlich immer etwas dazwischen, aber diese beiden Gefühle, die wie Tag und Nacht sind, leben hier im Altenheim Seite an Seite.

Eine Dame, die in dem Recanto wohnt, weint viel. Sie ist noch sehr klar, aber sehr still. Wenn man sie drauf anspricht, warum sie denn weine, sagt sie: ‚Nur Traurigkeit‘. Sie begründet ihre Traurigkeit nie - vielleicht weiß sie selber nicht, woher sie genau kommt.

Ein anderer Bewohner ist quasi nie traurig. Zumindest habe ich ihn noch nie betrübt erlebt. Er ist immer unglaublich höflich, schaut einen mit seinen tiefen braunen Augen an und sagt einem gerne 10 Mal am Tag ‚Ola‘. Dieser Mann ist außerdem ungehalten, was das Flirten angeht. Ob Krankenschwester, Bewohner, oder Köchin. Jeder hier ist seine ‚Boneca‘ , was Puppe bedeutet.

 

Ich habe mich, seitdem ich hier bin, sehr viel mit dem Thema ‚Altern‘ beschäftigt. Es liegt natürlich nahe, da mich das hohe Alter täglich umgibt und ich mich oft frage, wie ich selber, oder die Leute aus meinem Umfeld, in 40 - 60 Jahren sein werden.

Manchmal überkommt mich dann ein panisches Gefühl, weil mir der Weg bis hierhin, bis ins Altenheim, unglaublich kurz erscheint. Man plant ganz grob sein Leben durch und wundert sich auf einmal, wo die Zeit geblieben ist. Wer hat sich diese Frage noch nie gestellt? Natürlich weiß ich, dass 50 Jahre nicht eben so dahinfliegen, aber wer weiß, ob wir noch so viel Zeit haben?

Vor circa einem Monat ist der Vater eines Freundes von mir verstorben. Er war grade mal Anfang 50 und doch war sein Leben an diesem Punkt vorbei. Vor diesem schrecklichen Ereignis hatte ich Angst vor dem Altern. Aber jetzt sehe ich das Altern als Segen an.

Ich lerne hier sehr stark, meine Privilegien zu genießen. Natürlich weiß ich nicht, ob ich ein hohes Alter erreichen werde, aber ich weiß, dass ich jetzt, in diesem Moment, lebe und die Möglichkeit habe mein Leben zu genießen. Dieses Privileg ist meiner Meinung nach das wertvollste, welches wir besitzen, und genau das sollten wir unbedingt zu schätzen wissen.

 

Das Zitat ‚lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter‘ ist in diesem Zusammenhang zwar sehr passend, aber ich finde, dass es schon zu oft gesagt wurde. Außerdem glaube ich, dass es einen negativen Beigeschmack hat. Im Hinterkopf habe ich dann immer den Tod. Die Angst, jeden Tag des Lebens nicht genug zu würdigen.

Ein kluger Mann, hat mir mal gesagt, dass es wichtig ist, sich FÜR etwas zu entscheiden. Nicht GEGEN etwas. Denn sonst rückt das, gegen das man sich entscheidet, immer weiter ins Blickfeld und verunsichert einen.

 

Also entscheide ich mich jeden Tag für das Leben, und nicht gegen den Tod.  

Der kleine Prinz

'Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es dir sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache. Du allein wirst Sterne haben, die lachen können!'

-Der kleine Prinz.

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Kommentare: 2
  • #1

    Sr. Theresita M. Müller (Montag, 31 Oktober 2016 17:46)

    Ich freue mich sehr über deinen tiefgehenen Gedanken, liebe Puline. Das hat viel mit persönlichem Reifen zu tun. Danke für das Teilen Deiner Gedanken!

  • #2

    DD-O (Montag, 31 Oktober 2016 17:51)


Der kleine Prinz

'Am Ende geht einer doch immer dahin,

wohin es ihn zieht'

 - Flug nach Arraz