Überraschende Wegbegleiter

Wie ihr euch wahrscheinlich vorstellen könnt, begegne ich hier sehr vielen Menschen. Dieser Artikel gilt jedoch nicht jenen Wegbegleitern, die mich tagtäglich umgeben und die ich in die Sparte ‚Alltag‘ einordnen würde. Diesen Artikel widme ich den Menschen, denen ich zufällig begegnet bin.

Den Südamerikanern sagt man Aufgeschlossenheit und Unbeschwertheit nach, und ich muss sagen, dass sich dieses Gerücht für mich mehr als bestätigt hat. Egal wo ich bisher in Brasilien gewesen bin - jeder ist unglaublich hilfsbereit, interessiert und offen.

 

Genau über die Begegnung mit diesen Menschen möchte ich euch gerne berichten. 

Die interessierte Familie

Charlotte und ich standen nach einer unglaublich anstrengenden Stunde Zumba im unserem Supermarkt vor dem Müsliregal, bemüht ein Müsli einer Firma zu finden, die nicht schon von Nestle aufgekauft wurde. Plötzlich tippte mir eine Kinderhand auf den Rücken. ‚Woher kommt ihr?‘ Wir, immer noch ziemlich aufgedreht von dem Adrenalin, was uns der Sport in den Kopf hat steigen lassen, waren ziemlich verwirrt. Jemand Fremdes spricht uns im Supermarkt an? Ein schüchterner kleiner Junge? In Deutschland quasi unmöglich. Der Supermarkt gehört zu einem der vielen anonymen Orte, an dem jeder seinen Aufgaben nachgeht und ungestört bleiben will. Vielleicht gehe ich grade zu hart mit Deutschland ins Gericht, aber ein wenig übertrieben ausgedrückt ist es einfach so.

Wir redeten ein wenig mit ihm und seiner Mutter und nach einiger Zeit kam auch der Vater noch mit hinzu. Wir erfuhren, dass sie eine Freundin haben, die einen Freund in Deutschland hat. Die beiden seien jetzt verheiratet und wohnten in Bochum. Wie absurd ist das eigentlich? Du stehst in Leme, knapp 10000 Kilometer von Deutschland entfernt in einem Supermarkt und eine Familie erzählt dir von Freunden, die nicht mal zwei Stunden von deinem Zuhause entfernt in Bochum wohnen?!

 

Und als wenn das nicht schon genug wäre, geben sie dir noch ihre Nummer und laden dich, wann immer du willst, zu sich nach Hause ein. Ich liebe die Mentalität der Brasilianer!

Der gebildete Businessmann

Ich habe schon in einem meiner letzten Artikel über unsere Reise nach Rio de Janeiro berichtet. Wenn du, lieber Leser, ihn gelesen haben solltest, dann weißt du, dass wir mit einem Langstreckenbus gereist sind. Auf der Rückfahrt irgendwo zwischen Rio und Campinas wurde ich angesprochen und gefragt, was ich denn schreibe. Ich antwortete, dass es mein Tagebuch sei. Auf welcher Sprache schreibst du? Holländisch? Ich war ganz perplex, dass jemand fast meine Muttersprache erkannt hatte! Ich war müde, wegen der Rückreise etwas traurig und eigentlich nicht in der Stimmung Smalltalk zu machen, aber so schnell kam ich aus der ganzen Sache nicht mehr raus. Überraschender Weise entwickelte sich aus dem Smalltalk dann eine Art Diskussion über alle möglichen Themen. Ich war angenehm überrascht, dass der Brasilianer, der schon seit circa 4 Stunden eine Reihe schräg hinter mir saß, und mit dem ich mich jetzt unterhielt, so gebildet war. Ich möchte nicht, dass das falsch verstanden wird. Es ist mir bisher nur oft aufgefallen, dass die Brasilianer zwar schlau und interessiert sind, jedoch wenig Kenntnisse über Europa haben. Der Businessmann, der schon durch die halbe Welt gereist ist, wollte mir beispielsweise die deutsche Geschichte erklären und mich über die Hintergründe des Mauerbaus und Mauerfalls aufklären. Als ich ihm dann aber sagte, dass ich den Geschichte Leistungskurs in der Schule hatte und somit über die Fakten Bescheid wüsste, war er ganz perplex. Seine Tochter sei circa in meinem Alter und interessiere sich gar nicht für Geschichte. Weder für die Geschichte Europas, noch für die Geschichte Brasiliens. Er kritisierte die brasilianische Bildung und die Bildungspolitik im Generellen. Wie schon so Viele mir erzählt hatten, beschwerte auch er sich darüber, dass der Englischunterricht in der Schule nur soweit reiche, dass man das Verb ‚to be‘ so grade konjugieren könne.

Englisch - England - USA. Ein weiteres unserer Themen war auch die US-Wahl. Wir waren beide der Meinung, dass Trump nicht der Nachfolger Obamas werden wird und siehe da, wir haben uns beide gründlich geirrt. Wir absurd. Der Mann meinte, dass an Trumps Denkansatz etwas dran sein muss, wenn ihm so viele Menschen folgten, aber mir fällt nichts im Geringsten ein, weswegen man ihm zustimmen könnte. Populismus, Patriotismus und Rassismus - einige von Trumps ach so tollen Attributen. Über all diese Themen diskutierte ich mit ihm auf Amerika und auf die ganze Welt bezogen.

Rassismus - wie in leider jedem Land dieser sich mit Hass aufladenden und in Egoismus suhlenden Welt gibt es den Rassismus auch in Brasilien. Den, sagen wir, ‚klassischen Rassismus‘ gibt es hier jedoch nicht. Schon am Anfang der Geschichte Brasiliens gab es verschiedenfarbige Menschen. Menschen aus Portugal, Afrika, Deutschland, Italien - alle mit einer unterschiedlichen Hautfarbe. Deswegen hat sich die Seuche des Rassismus anders ausgebreitet. Der Mann redete von dem Rassismus der armen, notleidenden Menschen. Auch hier in Leme sehe ich, wie die reicheren Menschen die Augen vor der offensichtlichen Armut verschließen. Man lebt quasi Seite an Seite und beachtet sich nicht. Ich fühle mich manchmal, als würde ich hier in der Kleinstadt Leme in zwei Welten leben.

 

Ich schweife ein wenig von meiner eigentlich Erzählintuition ab, aber das spiegelt quasi mein Gespräch mit dem Mann wieder: Er hat mich zum nachdenken angeregt, mir interessante Sichtweisen offenbart und mich in seine Gedanken blicken lassen. Für ein Gespräch mit einem Fremden, das mit Smalltalk angefangen hat, ist dabei doch etwas entstanden, das Wert ist, sich daran zu erinnern. 

Die sympathische Buskassiererin

Rio de Janeiro. Eine Stadt voller Menschen. Eine so große Stadt, dass eigentlich Anonymität herrschen sollte. Komischerweise habe ich genau diese in unserem Urlaub quasi gar nicht gespürt. Die Begegnung mit der sympathischen Buskassiererin ist eigentlich nicht besonders ereignisreich oder außergewöhnlich, aber sie hat mich trotzdem in irgendeiner Weise fasziniert.

Wir waren abends auf dem Weg zum Maracana-Stadion, das quasi am anderen Ende der Stadt lag. Doch wir mussten unbedingt dahin, immerhin ist da das legendäre 7:1 Spiel gegen Brasilien bei der WM 2014 gewesen! Wir sind also in irgendeinen Bus gestiegen, der in die Richtung fuhr. Neben dem Busfahrer saß noch eine zweite Person in dem Bus - die Buskassiererin. Wir setzten uns hinter sie und kamen ins Gespräch. Wir erzählten woher wir kamen, was wir hier machten und wo genau wir hinwollten. Sie hat uns letztendlich auch geholfen da auszusteigen, wo wir wollten, denn Anzeigen der nächsten Haltestellen, wie in Deutschland, gibt es hier nicht. Sie lebt schon ihr ganzes Leben in Rio de Janeiro und kennt also, neben den schönen Seiten, auch die Gefahren der Stadt. Beispielsweise sagte sie, dass sie auf offener Straße niemals ans Handy gehen würde. Das läge daran, dass die Räuber so dreist seien und dir das Handy einfach aus der Hand klauten.

 

Wie schon gesagt, es war kein weltbewegendes Gespräch, es war einfach nur mal wieder die Aufgeschlossenheit, Nettigkeit und Fröhlichkeit der Brasilianerin, die mich faszinierte. 

Die alternativen Straßenhändler

Leme ist keine große Stadt. Sie hat zwar circa 100000 Einwohner, aber das Zentrum, quasi die Innenstadt, besteht eigentlich nur aus einer Straße. Die Atmosphäre ist hier also ziemlich kleinstädtisch und ich sehe mich selber mit keiner allzu großen Erlebniserwartung auf die Stadt schauen. Umso überraschter war ich, als wir eines Abends mit einem frischgepressten Orangensaft in der Hand die Straße entlang schlenderten und die alternativen Straßenhändler fanden. Dreadlocks, irgendwas rauchend, und die Waren auf einer Decke auf dem Boden ausgebreitet. Sie verkaufen selbstgemachte Lederarmbänder, Ketten und Ohrringe. Eigentlich sind solche Straßenhändler nicht allzu besonders. Ich meine - jeder kennt sie doch aus Urlauben, oder sogar von Zuhause. Aber unsere Straßenhändler macht ihre Offenheit, Herzlichkeit und ihr Interesse besonders. Mittlerweile rufen sie schon unsere Namen, wenn wir auf der anderen Straßenseite zur Bank gehen, oder mit dem Fahrrad zum Supermarkt fahren. Das letze Mal, als wir mit ihnen geredet haben, hat einer der Männer Charlotte gefragt, ob er ihr ein Geschenk machen darf. Er formte aus einem Draht ein kompliziert aussehendes Peace-Zeichen. Er wollte dafür nichts haben, was es umso wertvoller macht.  

 

Ich bin jetzt auch schon im Besitz von zwei wunderschöne, mit Erinnerung behafteten Armbändern.

 

Lieber Leser, ich war mir lange nicht sicher, ob ich diesen Artikel über die besonders unbesonderen Begegnungen schreiben solle. Wie du siehst habe ich es letztendlich aber gemacht. 

Ist es nicht so, dass genau diese unwichtig erscheinenden Erlebnisse und Begegnungen am Ende für uns am Wichtigsten sind? 

Der kleine Prinz

'Die Demut des Herzens verlangt nicht, dass du dich demütigen sollst, sondern dass du dich öffnen sollst. Das ist der Schlüssel des Austausches. Nur dann kannst du geben und empfangen.'

-Die Stadt in der Wüste

 

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Der kleine Prinz

'Am Ende geht einer doch immer dahin,

wohin es ihn zieht'

 - Flug nach Arraz