In Sao Paulo

Wir haben es endlich mal nach Sao Paulo geschafft! Obwohl wir nur knappe drei Busstunden von der 15-Millionenstadt entfernt wohnen, waren wir bisher noch nicht dort. Abgesehen von unserer Ankunft am Flughafen, aber die kann man nun wirklich nicht dazu zählen.

Anlass unseres Trips war ein Zwischenseminar. Von Weltwärts, der Organisation, die mich und die Schwestern finanziell unterstützt, sind fünf Seminartage vorgegeben und somit bekamen wir die Möglichkeit Sao Paulo kennenzulernen. Die Schwestern haben in der Stadt selber ein Haus, in dem wir unterkommen konnten.

Schon der Weg von dem Busbahnhof bis zum Haus der Schwestern hat uns direkt in den Großstadtdschungel katapultiert. Eine unglaublich überfüllte Metro, in welche Louisa beim Einsteigen eingeklemmt wurde, sich aber zum Glück doch noch hinein quetschen konnte, und ein Stadtbus, der nur so durch die Straßen jagte. Als wir an unserem Ziel ankamen, war es unfassbar ruhig. Ich war so überrascht, denn eigentlich befanden wir uns in der acht größten Stadt der Welt, da habe ich alles erwartet, aber Ruhe ganz bestimmt nicht. Nachts hatte sich das mit der Ruhe jedoch auch wieder erledigt. Anscheinend hat der Flughafen von Sao Paulo kein Nachtflugverbot und dementsprechend viel Flugzeuglärm herrschte in der Dunkelheit der Großstadtnacht.

 

 

Donnerstag, der erste volle Tag, stand uns zur Reflektionsarbeit zur Verfügung. Alle, die auf der Aussendungsfeier in Heiligenstadt im Juli waren wissen, dass unser Thema ‚eine Ballonfahrt‘ war. Wir begeben uns auf eine Reise, die Höhen und Tiefen hat. Momente, in denen man das Gefühl hat die Sonne berühren zu können und Momente, in denen man dem Erdboden gefährlich nah kommt. Man hat Gegenwind und Rückenwind, Regen und Sonne.

Sabine, die für mindestens drei Jahre als Sozial- und Entwicklungsarbeiterin hier in Leme arbeiten wird, hat uns Papierballons mit vier Seiten gebastelt. Die schönen Seiten des MaZ-Daseins, die schwierigen Seiten, die Wahrnehmung der anderen Kultur und die Erfahrungen, die man mit nach Hause nehmen möchte. Wir hatten den ganzen Vormittag Zeit unsere bisherigen Erfahrungen bildlich zu gestalten, und den ganzen Nachmittag, um darüber zu sprechen. Es tat unglaublich gut, sich mit den ganzen Erlebnissen, ob positiv oder negativ, auseinanderzusetzten.

 

Der Tag endete mit einem gemütlichen Adventsabend, für den Charlotte und ich fast echte, heimische Weihnachtsplätzchen gebacken haben!

Am nächsten Tag stand für uns das Zentrum Sao Paulos an. Angefangen haben wir in dem Franziskanerkloster. Diese bieten täglich 300 Leuten, die auf der Straße leben müssen, die Möglichkeit, bei ihnen in der Suppenküche ein anständiges Mittagessen zu bekommen. Es ist unglaublich, wie perfekt organisiert das abläuft. Aus meinen bisherigen Erfahrungen kann ich sagen, dass Brasilien nicht gerade das Land ist, das das Attribut ‚organisiert‘ für sich beanspruchen kann, aber in dieser Sache haben mich die Franziskaner im Herzen Sao Paulos beeindruckt. Generell die Sozialarbeit, die von ihnen angeboten wird, ob es Gespräche, Unterstützung, oder einfach nur ein Spender für Gratiskondome ist, ist beeindruckend. Sie wird mit einer Einfachheit, innovativen Ideen und guter Organisation betrieben, dass ich nur staunen kann. 

Als wir uns dann in der Innenstadt auf den Einkaufsstraßen befanden, haben wir eine ganz andere Form von Armut erfahren. Menschen, die entweder mit oder ohne Zelten mitten auf der Straße oder auf Grünstreifen leben müssen. Es war schockierend den ‚Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben‘ in erschreckender Wirklichkeit zu begegnen. Die Armut ist hier, soweit man anmaßen kann Armut zu bewerten, weiter fortgeschritten. 

Die Verzweiflung und die Wut auf die Reichen ist mir dort deutlich geworden. Ein Beispiel: Ein Mann verfolgte uns europäischen Mädchen mit auffallend blonden Haaren in der Stadt und rempelte uns immer wieder an oder erschreckte uns. Für mich war die ganze Situation anfangs sehr beängstigend, aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, bin ich selber wütend. Nicht auf den Mann oder auf uns, sondern auf die Ungerechtigkeit. Diese verdammte Ungleichheit ist so gegenwärtig gewesen und sie ist es immer noch. Dieses Problem macht mich wütend und traurig zugleich. Warum ist die Gesellschaft so kompliziert? Meiner Meinung nach kann man die Gesellschaft mit einem Pubertierenden vergleichen: Unentschlossen, eingebildet, unsicher, unstetig, liebenswert und schwer zu bevormunden. Und die Frage ist: Wer sollte die Gesellschaft bevormunden? Es gibt keine Eltern, keine Oberhäupter der Gesellschaft. Es gibt keinen, der sich als würdig erweisen würde, diese Rolle zu übernehmen, denn auch diese Person ist ein Teil eben dieser Gesellschaft. Wir alle sind ein Teil der Gesellschaft und müssen alle ein Stück Arbeit zur Besserung der Situation aufbringen. Aber haben wir auch alle den Willen dazu?

 

Die, die meinen Blog regelmäßig lesen, wissen, dass ich mich über dieses Thema schon einmal ausgelassen habe. Auch wenn ich es schon einmal erwähnt habe, musste ich es einfach ein weiteres Mal anschneiden. Dieses Problem der Ungleichheit ist das Problem, mit dem ich mich am meisten beschäftige. Ob es in der tatsächlichen Arbeit am Stadtrand ist, oder ob ich ihm meine Gedanken widme. Das Unbefriedigendste daran ist, dass es kein Problem ist, dass sich schnell lösen lässt. Es wird eine schleichende Entwicklung geben. Momente, in denen der Fortschritt stagniert oder sich sogar in die falsche Richtung bewegt. Aber wie ich schon sagte; ich glaube, dass es keine Aufgabe von Einzelpersonen alleine ist das Problem zu lösen, sondern eine Aufgabe für Jeden, der sich Erdenbürger nennt.

 

Es erscheint für mich in diesem Moment pietätlos über das Ende des Seminars zu schreiben, denn es scheint, verglichen mit dem eben beschriebenen Problem, so zweitrangig. Es würden einige First-World-Problems folgen, aber die sind es an diesem Punkt nicht würdig erwähnt zu werden. 

Trotz des nachdenklichen Endes des Artikels wünsche ich dir, lieber Leser, noch eine schöne und besinnliche Adventszeit! 

Der kleine Prinz

'Wenn uns ein außerhalb unseres Ichs liegendes gemeinsames Ziel mit anderen Menschen brüderlich verbindet, dann allein atmen wir frei.'

- Wind, Sand und Sterne

Kommentar schreiben

Kommentare: 0

Der kleine Prinz

'Am Ende geht einer doch immer dahin,

wohin es ihn zieht'

 - Flug nach Arraz