Über die Stadtrandarbeit

In meiner Zeit hier in Brasilien habe ich zwei Aufgabenbereiche. Ich arbeite einerseits im Recanto Placida, in dem Altenheim der Schwestern und andererseits steht für mich täglich die Stadtrandarbeit an.

Als ich hier angekommen bin, konnte ich mir noch wenig unter dem Begriff ‚Stadtrandarbeit‘ vorstellen. Jetzt nach einigen Monaten konnte ich mir ein Bild von dieser Art der Sozialarbeit machen und erläutere es gerne für dich, lieber Leser.

 

Erst einmal finde ich es beeindruckend, wie viele Seiten die Sozialarbeit in der Welt hat. Egal in welchem Land man sich im Bereich der Sozialarbeit engagiert, es hat immer etwas mit Menschen zu tun. Aber zwischen der Sozialarbeit in Deutschland und der in Brasilien liegen Welten. Das liegt daran, dass in den Ländern jeweils andere Individuen und Personengruppen auf die Sozialarbeit angewiesen sind. Beispielsweise beschäftigt sich die Sozialarbeit hier mit den sozial sehr schwachen Menschen. Die Menschen, die nah an der Existenzgrenze leben, was Geld, Lebensmittel und teils Hygiene angeht. Solche extreme Fälle wie diese gibt es - zum Glück - in Deutschland nur selten. Was aber nicht heißt, dass die Sozialarbeit in Deutschland unwichtig wäre. Man ist dort nur eben schon bei dem nächsten Schritt. Es gibt keine Armut in der Weise. Man hilft Personen, die weniger integriert, vom Weg abgekommen und auf sich allein gestellt sind.

Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass mich die Sozialarbeit hier manchmal verzweifeln lässt.

Es gibt so viel zu machen, so viele Familien, denen es nicht gut geht. Und neben diesen Familien existieren natürlich auch die Fälle und Personen, denen man auch in Deutschland, bzw. in Europa hilft. Man hat eine so extrem breite Masse zu bedienen, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll.

Das schwierige an der Sozialarbeit ist, dass man oft zurückgeworfen wird. Die Arbeit ist ein Fass ohne Boden. Aber natürlich kann man nicht einfach aufhören, denn die Sozialarbeit ist so wichtig. Ich lasse mich von den kleinen Erfolgen und von der Freude der Kinder und Familien aufheitern. Wir MaZler sind natürlich nur kleine Helferlein. Die eigentliche, große Arbeit machen die Sozialarbeiterin Sabine Stefan, die Provinzoberin Sr. Aurora und einige Freiwillige - Engagement im höchsten Maß.

Zur Erläuterung: Die Sozialarbeit erlebt hier in Leme zurzeit einen Wandel. Die Sr. Aurora plant die Sozialarbeit auszubauen: Mehr Kurse in mehreren Stadtteilen anzubieten mit der Unterstützung von freiwilligen Helfern aus der Region selber. Es soll alles etwas größer werden, damit mehr Menschen erreicht werden können. 

Viel Arbeit, die sich aber lohnen wird!

Lemes Stadtbild sieht folgendermaßen aus: Je weiter man in den Norden fährt, desto ärmer werden die Verhältnisse. Der Süden ist besiedelt von den besser situierten Personen und auch dem Zentrum geht es deutlich besser, als dem Norden. Es ist immer wieder eindrucksvoll die Stadt sich verändern zu sehen, wenn man nur einige Straßen weiter fährt. Man befindet sich plötzlich in einer ganz anderen Welt.

Wie du wahrscheinlich weißt, lieber Leser, ist Brasilien nicht das ärmste Land Südamerikas. Es ist schwierig zu definieren, aber oft redet man von einem Schwellenland. Charakteristisch für ein Schwellenland ist eben diese soziale Ungleichheit. Man redet oft von der 'Schere zwischen Arm und Reich'. Und durch meine bisherigen Erfahrungen hier kann ich diese Metapher bestätigen.

Wie sieht meine Sozialarbeit hier aus? Nun ja, auch die ändert sich immer wieder. Wir, Charlotte und ich, haben jeden Mittwoch einen Tanzkurs für Kinder im Imperial, ein Stadtteil am Stadtrand, in dem ein kleines Haus von den Schwestern ist, in dem Kurse stattfinden. Kurse wie Capoeira, Kindernachmittage und unter anderen auch unser Tanzkurs. Durch unsere Tanzerfahrung wollen wir den Kindern ein Taktgefühl vermitteln und einfach Spaß mit ihnen haben.

An den anderen Tagen der Woche fahren wir in die verschiedensten Stadtteile und besuchen die Familien. Das kann bei der Hitze hier und den steilen Bergen unglaublich anstrengend sein, aber nein, ich werde mich nicht über die Sonne beschweren, wenn du in dem verregneten Deutschland sitzt :)

Was wir genau bei den Familienbesuchen machen, kommt ganz auf die Familie an. Manchmal steht schlicht die Konversation im Vordergrund. Wir erkundigen uns, wie es der Familie geht und ob genug Lebensmittel zu Verfügung stehen, worauf die Antwort quasi immer ein ‚Nein‘ ist. Wichtig ist es auch, sich nach der Bildung der Kinder zu erkundigen. Oft treffen wir auf Familien, deren Kinder nicht mehr zur Schule gehen, da sie lieber Zeit auf der Straße verbringen. Die Straße ist nur leider der direkte Weg zum Drogenkonsum, Drogenhandel und ungewollter Schwangerschaft. Dementsprechend wichtig ist es mir mich schon bei den kleineren Kindern nach ihren Träumen und Zukunftswünschen zu erkundigen und ihnen zu zeigen, dass die Bildung ein Muss auf dem Weg zum Erfolg darstellt.

Hin und wieder denken wir uns auch Bastelaktionen aus: Armbänder und Schlüsselanhänger selber machen, oder Spiele wie zu Beispiel ‚Mensch ärgere dich nicht‘ gemeinsam basteln und anschließend spielen.

Anfangs war es schwer einen Zugang zu den Familien und besonders zu den Kinder zu bekommen, die etwas ruhiger sind. Aber wenn man gemeinsam bastelt und spielt hat man die Möglichkeit ganz nebenbei Fragen zu stellen und auf einmal fängt das schüchternste Kind an dir von allem Möglichen zu erzählen. Von Träumen, wie Fußballspieler zu werden, oder den Vater einmal im Leben zu sehen. Traurigerweise ist es oft so, dass die Väter nicht mehr im Haus sind, oder es nie waren. Ich freue mich jedes Mal, wenn die Kinder beide Elternteile in ihrem Leben haben. Ich persönlich könnte es mir nicht vorstellen ohne meinen Vater aufgewachsen zu sein. Besonders dann ist die Vorstellung schwierig, wenn der Vater aus freien Stücken entschieden hat seine Kinder nicht kennenzulernen. Deswegen begegne ich oft verzweifelten, alleinstehenden und alleinerziehenden Müttern, die nicht wissen, wie sie gleichzeitig auf die Kinder aufpassen und das nötige Geld verdienen sollen.

Es gibt neben den paar Aufgaben, die ich hier in der Sozialarbeit teil übernehme, natürlich noch so viele weitere Bereiche. Im  Bonsucesso, ebenfalls ein Stadtviertel, werden beispielsweise zahlreiche Kurse angeboten. Wie man Seife selber macht, Gartenarbeit betreibt, Deutschkurse, Gitarrenunterricht, ein Chor und sooo viele mehr. Und wie ich eben schon erwähnt habe: Es wird alles noch weiter ausgebaut.

Ein spezifischer Teil der Sozialarbeit fasziniert mich ungemein, und das ist Capoeira. Den typisch-brasilianischen Kampftanz werde ich hier jedoch noch nicht erläutern, weil er einfach so beeindruckend ist und deswegen einen eigenen Blogartikel verdient hat.

Die Familien vom Stadtrand werden von den Schwestern oftmals mit Geld oder Essenskörben unterstützt. Jedoch wächst auch bei den Schwestern das Geld natürlich nicht im Garten an den Bäumen. Falls du, lieber Leser, die Möglichkeiten hast etwas Geld zu spenden, dann würde ich mich unglaublich darüber freuen. Besonders jetzt nach der Weihnachtszeit wird jeder Cent gebraucht, um, nach den Weihnachtsausgaben für die Stadtrandfamilien, diese auch jetzt weiter unterstützen zu können.

Wenn du dich also dazu entscheiden solltest etwas Geld zu spenden, dann findest du unter diesem Link die Spendenadresse. Ich, die Schwestern und besonders die Familien am Stadtrand freuen sich über jeden Cent! Herzlichen Dank dafür.

Um zu einem Schluss zu kommen:

Ich habe in den vergangenen vier Monaten unglaublich viel über das Land Brasilien gelernt. Über die positiven und negativen Seiten - über die Offenheit und Fröhlichkeit der Brasilianer und über die scheinbar ausweglosen und deprimierenden Situationen.

Die Arbeit hier, ob im Altenheim oder am Stadtrand, öffnet mir die Augen. Ich lerne hier in der ausgiebigsten Weise, die ich mir vorstellen kann, meine Privilegien zu schätzen, ob Herkunft, Familie oder Wohlstand.

Was ich aber auch gelernt habe ist, dass Geld allein nicht glücklich macht. Ich bewundere die armen Leute so wegen ihrer Fröhlichkeit und Offenheit, trotz der schwierigen Situationen.

Der kleine Prinz

'Hier ist mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar.'

-Der kleine Prinz

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Kommentare: 1
  • #1

    Veronika Schauerte (Freitag, 30 Dezember 2016 19:42)

    Liebe Pauli,das Weihnachtsfest hast du hoffentlich nicht allzu traurig erlebt!?Nun wünsch ich dir einen eindrucksvollen Jahreswechsel und für deine Aufgaben im Neuen Jahr stets Gottes Segen,meine Gedanken sind bei dir! LG Veronika


Der kleine Prinz

'Am Ende geht einer doch immer dahin,

wohin es ihn zieht'

 - Flug nach Arraz