Soziale Arbeit - Brasilien vs Deutschland

Unsere schöne Hauptstadt Berlin! In dieser befinde ich mich grade. Besser gesagt bin ich schon seit zwei Monaten hier. Warum? Ich mache zurzeit in der Manege gGmbH ein Praktikum. Was das genau ist, warum es mir so viel Spaß macht, was mich fasziniert und wie ich damit eine Verbindung zu Brasilien aufbaue,  möchte ich dir, lieber Leser, in diesem Artikel erzählen.

 

 

Als ich vor circa einem Jahr mein Visum für Brasilien in der Hand hielt, und feststellte, dass es nur für 6 statt 12 Monate ausgestellt wurde, habe ich mir nur eine Frage gestellt: Was um Himmels Willen soll ich in dem zweiten halben Jahr machen? Ich habe mich ein wenig informiert und mir dann mit der Zeit einen Plan zusammengestellt. Neben einem Praktikum im April im Klinikum Bielefeld und der Zeit als Permanent in Taizé im August, hat sich für mich das Praktikum in Berlin ergeben. 

 

 

Berlin, Berlin!

Hm, bisher hört es sich so sehr steril an, was ich schreibe. Das sollte ich ändern:

Diese Zeit in Berlin ist einfach der absolute Hammer! Ich hätte mir nichts Besseres vorstellen können. Alleine schon in Berlin für eine Zeit zu leben ist so wunderbar. Ich meine es ist Berlin! Die Stadt steckt voller Möglichkeiten. Hier ist jeder Mensch so, wie er sein möchte. Berlin gibt Raum sich zu finden oder zu erfinden. Hier werden Visionen umgesetzt, Träume gelebt und das Leben auf verschiedenste Weisen gestaltet.

Die Stadt fasziniert mich und ich verliebe mich jeden Tag wieder von neuem.

Jetzt ist die Zeit in Berlin für mich wieder vorbei, und ich werde schon melancholisch. 

 

Natürlich besteht in einer so dermaßen großen Stadt die Gefahr unterzugehen. Besonders als kleine Sauerländerin, die grade erst die große Stadt kennenlernt. Aber hey, ich fühle mich einfach unglaublich wohl!

Aber nicht nur die kleinen Dörfler und Unerfahrenen können es schwer haben in der großen Stadt.

Mit diesen Personen, genau genommen Jugendlichen, denen die Stadt das Leben nicht leicht macht, beschäftigt sich die Manege.

Viele dieser Jugendliche sind von dem riesigen Monster namens System verschluckt oder übersehen worden.

Die Manege gGmbH

‚Schön, dass DU da bist!‘

‚Das individuell BESTE suchen und geben!‘

‚Liebe und Kompetenz als Kern unserer Arbeit!‘

 

Diese und noch viele weitere Aussagen stellen das Leitbild der Manege dar. Spezialisiert auf Jugendsozialarbeit, Jugendhilfe und Jugendberufshilfe zeigt sich die Arbeit mit den Jugendlichen unglaublich vielfältig.

Ich glaube nicht, dass ich es schaffe alle Bereiche, alle Kompetenzen und alle wunderbaren Aktionen zu erwähnen, denn es sind schlicht so viele! Ich möchte dir, lieber Leser, bloß versuchen einen kleinen Einblick zu geben in die Arbeit, die ich in meinem Praktikum hier machen und erleben durfte. Ich sage schon einmal im Voraus, dass ich nur von MEINEN Erfahrungen berichten kann. Wenn jemand diesen Text liest und Unstimmigkeiten erkennen sollte, dann tut es mir wirklich unglaublich leid. Ich gebe mir große Mühe ehrlich und richtig zu schreiben.

 

Jeder Mensch ist anders. Jeder Jugendliche bedarf einer individuellen Förderung und Betreuung. Was die Arbeit mit Menschen angeht denke ich, dass man niemals pauschalisieren darf und überhaupt kann. Es gibt kein Muster das auf jeden Jugendlichen zutrifft. In solche Lösungsmuster und Systeme würden sie hinein gequetscht werden, oder eben hindurch fallen.

Deswegen steht Transparenz und das Gespräch im Vordergrund. Sowohl im Umgang mit den Jugendlichen, als auch zwischen den Mitarbeitern.

Wenn ich nun grade schon bei dem Thema ‚Mitarbeiter‘ bin; es ist unglaublich, wie herzlich und selbstverständlich ich in das ganze Haus und den Ablauf aufgenommen wurde. Mir ist jeder, wirklich jeder, freundlich und hilfsbereit begegnet, als ich mal wieder durchs Haus geirrt bin, oder ich schlicht Fragen hatte. Ich bin so fasziniert von der Arbeit, die sie alle in der Manege leisten.

Grundsätzlich kann ich sagen, dass alle mit einer herrlichen Passion, einer herzlichen Freude, einer bemerkenswerten Geduld, einem zu bewunderndem Durchhaltevermögen und einer federähnlichen Leichtigkeit jeden Tag gemeistert haben. Dazu muss man sagen, dass die Tage sehr stressig sind.  Es gibt so unglaublich viel zu tun, um den Ansprüchen zu genügen, die natürlich alle anstreben. Dabei steht im Vordergrund : Den Jugendlichen helfen. Sie zu unterstützen. Sich mit Problemen gemeinsam auseinanderzusetzen. Für jeden da zu sein. Jedem zu zeigen, dass er es wert ist.

Deswegen das Motto ‚Schön, dass du da bist‘, denke ich.

 

Wie ich grade schon schrieb: Jeder Mensch ist besonders. Jeder Mensch hat andere Probleme und jeder Mensch bedarf einer anderen Förderung und Problembewältigung. Die Jugendlichen in der Manege stehen alle an verschiedenen Stellen ihres Lebens. Die Jugendlichen von diesen persönlichen Standpunkten weiterzuführen und zu begleiten ist die Aufgabe der Manege. Hier ein paar konkrete Aufgaben und Ansatzpunkte:

 

·         Strukturen aufbauen, wie eine gemeinsame Essenszeit, eine pünktliche Anwesenheit, eine individuell angepasste Arbeitsstundenregelung und das Haus selber als Anlaufstelle und als Ort für Gespräche.

·         Werte vermitteln. Werte, die die Jugendlichen von zu Hause nicht kennen, oder nicht kennenlernen durften, da sie kein derartiges zu Hause haben. Werte wie gegenseitiger Respekt, Spaß untereinander, Vorurteile vermeiden, jedem gegenüber offen sein, Selbst- und Fremdachtung  und Freundlichkeit. Eben das Gefühl haben und vermitteln, dass man gewollt ist. Dass man hier willkommen ist.

·         Den Weg ins Leben finden. Sich mit der Gesellschaft auseinandersetzen und zu lernen sich als einen Teil davon anzuerkennen. Bei dieser sehr großen Aufgabe hilft die psychologische Beratung und Begleitung der Manege.

·         Perspektiven aufzeigen. Die Jugendlichen stecken oft in aus ihrer Sicht hoffnungslosen Situationen. Es ist wichtig ihnen zu zeigen, dass sie Möglichkeiten haben; Lebensperspektiven, Ausbildungs- und Arbeitschancen. Zeigen, dass der Weg dorthin nicht ohne Hürden ist, aber dass die Manege sie auf diesen Hürdenlauf vorbereitet und dabei anfeuert.

·         Schulische Fördereinheiten. Oft muss der Schulabschluss nachgeholt werden. Um die Jugendlichen wieder in die Welt von Mathe, Englisch, Deutsch, Erdkunde und Co. zu bringen, gibt es auch hier Unterstützung.

·         Individuelle Förderplanung. Dieser letzte Punkt fasst so ziemlich alles zusammen. Es gibt regelmäßig Förderplangespräche, wo eben der Plan für die Jugendlichen gemeinsam mit dem zuständigen Pädagogen ausgearbeitet wird:  Was hilft ihm? An was möchte er arbeiten? Was tut ihm nicht so  gut? Wo braucht er mal klare Worte? Wie geht es weiter?

Ich war in meinem Praktikum in der Aktivierungsmaßnahme 'WegeMut' eingesetzt. Von den vielen anderen Bereichen habe ich nur am Rande etwas mitbekommen. Deswegen beziehen sich meine Berichte größtenteils auf 'WegeMut'. Aber ich glaube, dass die Grundstrukturen und Werte sich in der ganzen Haus ähneln.

Der Bezug zu Brasilien

Die erste Gemeinsamkeit die man feststellen kann ist, dass sich beide Arbeiten, die ich gemacht habe, in Brasilien und Deutschland, ‚Sozialarbeit‘ nennen. Vom Ablauf, der Planung und des Ausmaßes unterscheiden sie sich aber deutlich.

 

Ich denke, dass auf den einen großen Unterschied quasi alle anderen aufbauen:

Die Sozialarbeit in Deutschland wird staatlich unterstützt oder gänzlich finanziert.

Durch diese Tatsache gibt es mehr Möglichkeiten für die Jugendlichen, mehr Unterstützung.

Einrichtungen wie das Jobcenter, das Jugendamt, oder Maßnahmenträger wie die Manege existieren nicht in Brasilien. Jedenfalls sind sie mir nicht begegnet. Die Sozialarbeit dort hing von den Ordensgemeinschaften ab, wie in Leme von den Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel. Es gibt kleinere Unterstützungsprogramme des Staates, aber diese sind verschwindend gering. Besonders jetzt, in der Amtszeit Temers: Er möchte die Wirtschaft ankurbeln - eine an sich gute Sache für Brasilien. Jedoch möchte er das u.a. erreichen, indem er die Sozialleistungen und Sozialausgaben kürzt. Brasilien ist also sehr weit weg von einem System, wie es in Deutschland existiert.

In Brasilien steht man auch an einem ganz anderen Ausgangspunkt. Das ist einerseits kulturbedingt, aber auch wieder dem nicht existierenden System geschuldet.

Letztendlich gibt es in Deutschland aber auch die Menschen, die durch eben dieses System durchfallen.

 

Neben diesen Unterschieden sind mir jedoch auch Gemeinsamkeiten aufgefallen. Und diese zeigen sich nicht beim Betrachten des Systems, nicht durch den Blick von oben. Man muss dafür tiefer gehen - zu dem Menschen selber.

Bei den Hausbesuchen hier und in Brasilien hat sich für mich interessanterweise oft das gleiche Bild geboten: Mütter, die erzählen, dass sie ihre/n Tochter/Sohn seit einigen Tagen nicht mehr gesehen haben, dass sie Angst haben, dass sie/er in Berührung mit Drogen kommen, dass sie nicht mehr heimkehren. Schulverweigerer. Schwangere Minderjährige und das Gefühl von Hoffnungslosigkeit und Überforderung.

Ich habe festgestellt, dass alle Jugendliche etwas Besonderes sind und alle das Recht auf eine Zukunft voller Lebensfreude haben - in Brasilien genauso, wie in Deutschland. Es sind ähnliche Probleme, die die Jugendlichen auf den verschiedenen Kontinenten haben, sie können in die gleichen Abgründe fallen. Sie haben ähnliche Ausgangssituationen und einen scheinbar hoffnungslosen Weg vor sich. Es ist also schwierig zu urteilen und zu entscheiden, welche Jugendlichen es nun besser bzw. schwerer haben; psychisch gesehen.

Beim Betrachten des Systems scheint es für die Jugendlichen in Deutschland natürlich leichter - solange sie durch dieses nicht hindurch fallen.

 

Am Ende ist urteilen jedoch auch fatal. Natürlich gibt es in Deutschland eine intensivere Unterstützung, jedoch ist der Weg aus dem Teufelskreis der Armut oder des Hartz IV Daseins nicht einfach.

Die Jugendlichen haben so unglaublich viel zu tragen. Ich habe in meiner Zeit im Praktikum sehr viel durch Gespräche erfahren. Es ist unfassbar, was sie alle durchmachen müssen und mussten, wie viele Probleme ihnen von der Familie mit auf den Weg gegeben wurden. Sie sind alle noch so jung und haben schon mit so viel zu kämpfen. Also bitte nicht verurteilen! Ich denke, dass dies eh eine Eigenschaft von uns Menschen, Europäern, Deutschen ist, die verheerend sein kann. Man urteilt zu schnell. Stempelt Menschen ab, oder schiebt sie in Schubladen. Man muss es wagen sich in die Situation hineinzuversetzen und versuchen die Taten, Verhaltensweisen und das generelle Auftreten  zu verstehen.

Jeder Mensch hat eine Geschichte und die darf nicht übersehen werden, sie ist ausschlaggebend.

 

 

Lieber Leser! Ich hoffe, dass ich dir einen kleinen Einblick geben konnte und du die Sozialarbeit und die Manege in Berlin Marzahn-Hellersdorf nun etwas kennengelernt hast. Danke für deine Aufmerksamkeit und dein Durchhaltevermögen.

 

Bis bald!

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'Am Ende geht einer doch immer dahin,

wohin es ihn zieht'

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